Was ist Geschwurbel? Bericht von der Querdenkerdemo am 21.11.20 in Hannover
Lesezeit: 6 Min.
15:30 Uhr
Ich vermute, dass nicht mehr als 600 angemeldete Demonstranten vor Ort sind.
Der erste Redner, dem ich zuhöre, behauptet Kampfflieger a.D. zu sein und eine schweren Kindheit in der DDR hinter sich zu haben. Er musste bis zum 10. Lebensjahr Penicillin nehmen. Grund sind, laut seiner Aussage, schwere Lungenprobleme, bei denen ihm selbst Penicillin nicht heilte. Seine Fachärztin sprach damals eine Todesdiagnose aus. Daraufhin setzte er die Medizin ab und - wie schön für ihn, er machte Sport. Selbstherrlich berichtet er von seinem Leistungssport, später Flugsport, woraus seine Fliegerkarriere bei der Armee in der DDR entstand. Wie ein Feldwebel brüllt er die ganze Zeit ins Mikrofon. Spricht von Gleichschaltung der Gehirne vieler Menschen und wie schädlich dies sei. Ein weiterer Redner spricht von Arbeitslosigkeit, arm - reich Gefälle in Deutschland und der großen Ungerechtigkeit diesbezüglich.
Sorry - was will der Feldwebel uns sagen? Welchen Bezug setzt der andere Redner zur Querdenke? Ich finde keine Hinweise.
Die Polizei unterbricht derweil mit Lautsprecherdurchsagen die Reden. Grund: Abstand halten und Mund, Nasen Bedeckungen tragen findet nur teilweise statt. Der anfänglich laute Block an Gegendemonstrant*innen, der dicht an der Demo steht, wird der Polizei mittlerweile um 40 Meter nach hinten gedrängt. Fast vollständig umringt, von vielen Polizist*innen, halten sie sich jedoch an alle notwendigen Hygieneregeln.
Eine Rednerin auf der Bühne gelobt am Ende ihrer Rede, schon fast wie in einem Gebet, Frieden, Gemeinschaft, Schutz für Schwache und eine „wahrhafte und würdige Demokratie“.
Schöne Gedanken. Doch was will sie mitteilen? Was ist ihre Kritik, ihre Position? Wofür oder wogegen demonstriert sie? Ich höre nichts diesbezüglich.
Die Demoleitung kommt auf die Bühne um ebenfalls für "Ordnung" bei ihren Anhänger*innen zu sorgen. Besonnenheit und eine friedlichen Veranstaltung sind wichtig, sagt sie.
Ein provokanter Unterton, in dem zwischen den Zeilen Arroganz und Missachtungswünsche mitschwingen, ist nicht zu überhören.
Ein Redner und Musiker berichtet sehr kurz von seinen aktuellen finanziellen Problemen. Andeutungsschwanger, aber ohne konkrete Kritik zu äußern, spricht er davon, dass er vermeintlich die Gründe für den Lockdown kenne und spieltd dann ohne weiter darauf einzugehen, sein Lied auf der Gitarre. Eine weitere Rednerin sucht die Liebe und das Göttliche in den Menschen. Sie spricht von der Fassade der Politiker, die Regeln aufstellt, welche nichts mit Liebe zu tun hätten. Zitat: "Mit Liebe schaffen wir alles was wir wollen... Wir wissen, dass wir für die Wahrheit auf die Straße gehen und viel Geduld brauchen".
Doch, was ist die Wahrheit von der sie spricht? Mir wird es nicht deutlich.
Mantras hören, singen, tanzen und sich nicht denunzieren zu lassen sind ihre weiteren Empfehlungen. "Es gibt keine Pandemie" sagt sie. Hier höre ich das erste und letzte mal an diesem Tag eine klare Position! "Das Göttliche reicht und wir werden glücklich sein". Sind ihre Schlussworte.
17:00 und noch 1/3 an Demonstranten ist anwesend.D
Die Polizei kontrolliert fleißig Bescheinigungen, die von dem Tragen der Mund
Nasen Bedeckung befreien und fordert per Lautsprecher immer und immer
wieder zum Abstand halten auf. Der Block der Gegendemonstranten ist
zwischendurch hörbar laut und provokativ.
Ein wie er behauptet, Ex-Polizist, überlegt als unerfahrener Internetnutzer, was wäre, wenn die übliche Presse nicht die Wahrheit sagen würde. Er selber behauptet, schon lange weder Fernsehen zu sehen, noch Zeitung zu lesen. Ich frage mich spontan, wo er als Verweigerer der alten, und Neuling bei den “neuen” Medien, seine Informationen herholt.
An seiner Stimme ist zu hören, wie er den Befehlston gewohnt ist.
Die anwesenden Polizisten spricht er mit Kollegen an. "Hoffentlich habt ihr einen
freien Geist und die Bereitschaft, in Kontakt mit uns Demonstranten zu kommen".
Ich frage mich, wie sich diese Rede für die tätigen Polizist*innen anfühlt. Fast schon tun sie mir leid. Sie werden funktionalisiert, ohne sich positionieren zu können. Sie werden eingebunden, aber auch diskreditiert. Eine ruhige Stimme der Polizei unterbricht erneut diese Rede, mit der “nur" wiederholenden Aufforderung, sich an die Sicherheitsbestimmungen zu halten.
17:40 Der Platz leert sich sichtbar.
Es sind mittlerweile so wenige Demonstrant*innen auf der großen Fläche,
dass ich bei einer weiteren Aufforderung der Polizei grinsen muss. Ordnung muss
sein. Ich freue mich.
"Warum ist die Antifa (er meint den Block der Gegendemonstrant*innen) nicht bei Julian Assange und versucht ihn zu retten? Warum stehen sie hier bei dieser friedlichen Demonstration?
Dieser Redner hält lose Zettel in der Hand. Angeblich Dokumente vom Staat, welche
beweisen, dass die Bundesregierung die Demonstranten als Nazis bezeichnet.
Er habe es schwarz auf weiß, lautet seine Behauptung.
Gleich darauf geht es bei ihm um Sankt Martin. Sankt Martin war, in seinen Augen,
ein Soldat, der einen Mantel geteilt hat, damit dieser als Mund Nasen Schutz dienen kann.
In seiner Zusammenfassung von wirrem Zeug, klagt er die Polizei mit aggressiver Stimme an. Er behauptet, dass in Berlin mit Wasser auf Menschen geschossen wurde und sie deshalb krank werden und an Corona sterben!
18:00
Nur noch ein 1/10 der Demonstranten ist anwesend und wird zum Tanzen aufgefordert.
Schiefer Gesang, der diese äußerst schiefe und wirre Veranstaltung passend gestaltet.
"Friede - Freiheit - Demokratie" Sprechchöre ertönen und ich frage mich, wo ihr Problem liegt.
Ein im Superman Kostüm gekleidete Person tritt als letztes auf. Corona ist nicht das Problem,
behauptet er. Das ist technisch und für Wissenschaftler wichtig. Schwierig ist, dass Waffen Menschen töten. Das es Diskriminierung gibt. Dass diese Demonstration von Polizisten eingekesselt wird. Sein Wunsch nach Hilfe und gegenseitiger Unterstützung bildet den Schlusssatz.
In meinem Kopf dreht es sich.
Ohne Maske demonstrieren?
Sachlagen verdrehen?
Reden halten, die keine Positionierung verdeutlichen?
Widersprüchliche Aussagen von sich geben?
“Antifaschisten” als untätig deklarieren?
Friede - Freiheit und Demokratie zu fordern und dabei nicht zu benennen wo sie eingeschränkt wird?
"Liebe hält alles zusammen" als Botschaft propagieren?
Mein Resümee:
Nun verstehe ich, warum Querdenker Demonstrant*innen und Redner*innen auch
als "Schwurbler*innen", in Anlehnung an den Begriff "*Geschwurbel", bezeichnet
werden.
Ein bunter Mix aus wilden Selbstdarsteller*innen. Mal aggressiv in der Sprachform,
mal Liebe und Friede preisend. Mal wirr und mal selbstherrlich redend.
Durchweg zusammenhanglos und ohne Kernbotschaften.
Hier auf dieser Demo habe ich einen Teil der Gesellschaft kennen gelernter, der mir fremd ist, deren Sicht auf die Vermischung vieler Dinge beruht. Sie sprechen über verschiedenste Themen, aber fühlen sich geeint. Worin, ist mir nach den gehörten Reden nicht klar geworden.
Es war *Geschwurbel von Schwurblies.
*Geschwurbel ist ähnlich wie Geschwafel ein abwertend gebrauchter Ausdruck der Umgangssprache für vermeintlich oder tatsächlich unverständliche, realitätsferne oder inhaltsleere Aussagen. Anwendung findet das Wort vorwiegend in Umgebungen, wo sprachliche Ausdrucksformen für eine abgrenzende Darstellung von besonderer Bedeutung sind, so in Politik, Religion, Werbung oder auch den Geisteswissenschaften. In der Literaturkritik wird die Bezeichnung verwendet, um schlechten Stil zu tadeln.
Sowohl Abschnitte geschriebener Texte wie Teile gesprochener Rede können als Geschwurbel bezeichnet werden. Für den Herabsetzungsversuch wird meist kein Inhaltsbezug aufgenommen, häufig ist darüber hinausgehend intendiert, einer argumentativen Darlegung für die beabsichtigte Abqualifikation auszuweichen. Da für eine begriffliche Bestimmung des Ausdrucks markierte Aussageinhalte selten umreißbar sind, wird oft der sprachliche Akt der Selbstdarstellung näher betrachtet.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen